Know-how-Transfer zwischen West und Ost
Deutsch-ukrainische Betreiberpartnerschaft setzt auf Dialog zwischen Fachleuten.
Wie können ukrainische Wasserunternehmen ihre Dienstleistungen optimieren? Und wie können die deutschen Partner dabei unterstützen? Die Antworten hierauf nutzt die deutsch-ukrainische Betreiberpartnerschaft als Basis, um einen ambitionierten Arbeitsplan zu erstellen. Dabei geht es nicht nur um technische Themen der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, sondern auch um kaufmännische Themen im Bereich kostendeckende Tarifkalkulation und Investitionsverfahren.
Ziele des Projekts
Zu Beginn der Betreiberpartnerschaft wurde sich auf einen Partner in der Westukraine, Lvivvodokanal, fokussiert und die Zusammenarbeit ausgestaltet. Die COVID-Pandemie bewirkte Einschränkungen in vielerlei Hinsicht und erschwerte den Projektfortschritt.
Nach einem Jähr Projektlaufzeit mit tiefgründigen Einblicken in die Zustandsbewertung und Arbeitsweise eines Wasserunternehmens in der Ukraine sowie in gemeinsamen Diskussionen aller Projektbeteiligten wurde deutlich, dass die Herausforderungen für ukrainische (Ab-)Wasserbetreiber grundsätzlich ähnlich gelagert sind. Gemeinsam müssen unterschiedliche Handlungsfelder lösungsorientiert diskutiert werden, wie z.B.:
- Kostendeckende Tarifkalkulation
Mit den Einnahmen aus Gebühren für Wasser und Abwasser ist es für die Unternehmen kaum möglich, die Kosten für den Betrieb des Rohrnetzes, der Kläranlagen und vielem mehr zu decken. Daher wollen die Partner einen Leitfaden erstellen, wie die Tarife am besten realistisch kalkuliert werden könnten. Perspektivisch soll ein Dialog mit der Politik angestoßen werden, da diese die Tarife festlegt.
- Nachwuchsgewinnung und Personalqualifikation
In der Ukraine ist es ähnlich schwierig wie für deutsche Wasserbetreiber, den Bedarf an Fachkräften zu decken. Die Mitarbeitenden der Unternehmen sind durchschnittlich zwischen 55 und 65 Jahre alt, die Löhne meist gering und die Berufsbilder wenig attraktiv für qualifizierte junge Menschen. Daher tauschen sich die Betreiber aus, wie sie Anreize für Mitarbeitende schaffen können, im Unternehmen zu bleiben, und wie sie sich Bewerberinnen und Bewerbern gegenüber attraktiv darstellen können.
- Optimierung der Anlagen und Prozessstruktur
Der Personalaufwand für die Instandhaltung des Abwassernetzes ist sehr hoch. Hier gibt es ein großes Einsparungspotenzial. Die Bertreiber planen technische Schulungen unter anderem zur Reduzierung von Wasserverlusten, zur Einhaltung von Qualitätsstandards und zur Klärschlammverarbeitung. Dabei sollen die Teilnehmenden zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet werden und ihr neu erworbenes Wissen in die Breite tragen. Durch nachhaltige Investitionen und ein modernes Anlagen-Management könnte perspektivisch viel Energie gespart werden.
Zuwachs für die Betreiberpartnerschaft
Eine Erweiterung der bestehenden Betreiberpartnerschaft mit Lvivvodokanal um die Wasserunternehmen der Städte Ternopil und Nadwirna trägt grundsätzlich zum Gedanken der nachbarschaftlichen Hilfe bei und unterstützt eine nachhaltige Wasserwirtschaftsstrategie für kleine und mittlere kommunale Betreiber in der Westukraine. Synergien im Wissens- und Erfahrungsaustausch, u.a. durch Beratungsleistungen, Workshops und Schulungen, sind zentraler Bestandteil der Betreiberpartnerschaft und werden maßgeblich vom ukrainischen Bedarf bestimmt.
Eine konsequente Vernetzung der Betreiber auf ukrainischer Seite, u.a. auch mit dem Verband Ukrovodokanalekologyja, der die Schnittstelle zu den politischen Instanzen darstellt, ermöglicht es, langfristig nachhaltige Lösungen zu erarbeiten, umzusetzen und nachzuhalten. Synergieeffekte müssen zielführend genutzt werden.
Zukunftsweisend soll dieses Konstrukt als Grundstein für ein potenzielles Betreibernetzwerk regionaler Wasserunternehmen in der (West-)Ukraine verstanden werden, um maßgebliche Verbesserungen im Trinkwasser- und Abwassermanagement zu bewirken. Die Südpartner sollen zunächst als Multiplikatoren für andere Wasser- und Abwasserakteure in der Ukraine wirken und perspektivisch qualifiziert sein, sich auch über dieses Projekt hinaus zu engagieren.
Strategische Neuausrichtung erzwungen
Seit Februar 2022 sieht sich die Betreiberpartnerschaft Ukraine mit der belastenden Situation der Eskalation des russischen Angriffskrieges konfrontiert. Eine Projektarbeit wie ursprünglich angedacht, ist leider nicht mehr möglich. Der regelmäßige Austausch zwischen den Partnern erfolgt vorrangig online und in nicht festgeschriebenen Intervallen. Die Partnerschaft ist stark von den eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der ukrainischen Kollegen abhängig. Je nach Verfügbarkeit von Elektrizität, unter Berücksichtigung von Luftalarm und dem ad-hoc Einsätzen der ukrainischen Kollegen zur Aufrechterhaltung der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung wird versucht, mit kreativen Lösungen einen komprimierten fachlichen Diskurs zu den partnerschaftlich vereinbarten Themenschwerpunkten zu führen. Eine Anpassung und Reduzierung der Kernthemen sowie eine Fokussierung auf dringend notwendige Beschaffung von technischem Equipment ist unerlässlich und wird orientiert an den vorherrschenden Kriegsbedingungen variabel angepasst.
Reisen von der Ukraine nach Deutschland sind mit einem erheblichen bürokratischen, nicht immer erfolgsversprechenden Antrag erschwert möglich, müssen unter Umständen jedoch kurz vor Beginn abgesagt werden. Die Ausreise für männliche Mitarbeitende wird immer schwieriger und hat nur geringe Aussicht auf Erfolg.
Ein reger und steter Austausch über die inhaltliche Ausrichtung der Zusammenarbeit und Umsetzungsmöglichkeiten führte in Absprache der Projektleitung mit den ukrainischen Partnerunternehmen dazu, den neuen Schwerpunkt der Betreiberpartnerschaft nun auf die wichtige Rolle von Frauen in der Wasserwirtschaft zu legen. Demgemäß folgt die Partnerschaft dem Ansatz „Stärkung von Frauen in der Wasserwirtschaft“ und fokussiert sich in ihren Arbeitstreffen auf fachliche Kompetenzen der Mitarbeiterinnen, die vorrangig im kaufmännischen als auch labortechnischen Bereich angesiedelt sind.
Aktivitäten
Die Bereitstellung von technischem Equipment und die Unterstützung durch pragmatischem Fachaustausch dienen der schnellen Lösungsfindung in dieser Sondersituation. Aufgrund des andauernden Krieges in der Ukraine ist es erforderlich, die bestehende Partnerschaft mit Hilfe von technischen Hilfsgütern zu stärken. Beschaffungen müssen gegenwärtig erhöhte Priorität haben, damit die Unternehmen auch im Falle von Blackout-Szenarien oder Überlastung durch Binnenflüchtlingsströme ihre Dienstleistungen nahezu ohne Einschränkungen gewährleisten können. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage (volatile Preise, lange Lieferzeiten, etc.) konnten bereits Notstromaggregate, diverse (Tauch-)Pumpen, Halbstahlerzeugnisse, Werkzeuge und Funkgeräte beschafft werden. Darüber hinaus werden in dem Projekt verschiedene Ansätze verfolgt und bearbeitet. Zum einen werden die Mitarbeiter qualifiziert und für verschiedene Problemstellungen sensibilisiert, Andererseits helfen Praxisvorträge und Workshops die vorhandene Technik optimal zu nutzen und Verbesserungen zu erzielen.
Kompakt organisierte Arbeitstreffen bei den deutschen Partnern werden beispielsweise durch intensive Kurzlehrgänge der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.) ergänzt.
Im Zuge einer verstärkten Verbandsarbeit werden weitere Wasser- und Abwasserunternehmen aus dem Netzwerk der Solidaritätspartnerschaften unterstützt und in das Weiterbildungsprogramm der Partnerschaft aufgenommen. Ziel ist es, das erworbene Wissen in die Breite zu tragen und dem Gedanken der Nachbarschaftskläranlagen zu folgen. Wünschenswert wäre der Aufbau eines soliden Fundaments für eine perspektivisch ähnliche Struktur von Kläranlagen-Nachbarschaften wie in Deutschland.
Für die verbleibende Projektlaufzeit bis 06/24 werden ausgewählte und spezifische Fragestellungen in Absprache prioritär und angepasst an die aktuelle Lage in der Ukraine bearbeitet:
- Blackout-Szenarien
Systematik und Konzepterarbeitung in Akutphase und Langzeitperspektive
- Modellierung einer verbesserten Abwasserentsorgung
Behandlung und Verwertung von Klärschlamm inkl. Eigenenergieerzeugung, Ersatzinvestitionen im Kanalnetz, Beseitigung von Geruchsproblemen
- Bewertung vorhandener Baupläne für den Neubau der Kläranlagen in Ternopil und Nadwirna
- Organisations- und Managementstrukturen
Vor- und Nachteile einer (Teil-)Privatisierung für ein kommunales Unternehmen; Shareholder-Analyse
- Kostendeckende Tarifbildung
Vorschlag eines theoretischen Tarifmodells am Beispiel Lvivvodokanal, der notwendige Investitionen berücksichtigt und sich an deutschen Standards orientiert
Stand: Oktober 2023
Impressionen aus den letzten gemeinsamen Treffen















